Ohne Leidenschaft geht nichts! Interview mit unserem 2. Vorsitzenden
Philipp Bludovsky ist als 2. Vorsitzender seit einigen Monaten für das Ressort Soziales und Ehrenamt zuständig, zuvor war er Chef der Juniorenabteilung. Als ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter des DOSB und Teammanager der U19-Junioren bewältigt der hauptamtliche Projektkoordinator in einem großen Leipziger Museum ein umfangreiches Pensum beim FC Blau-Weiß Leipzig. Zum Jahresende nahm er sich trotzdem ein paar Minuten Zeit für einige Fragen rund um den Verein und darüber hinaus.
Philipp, man sieht Dich immer nur über das Gelände flitzen. Es gibt viel zu tun beim FC Blau-Weiß? (Lacht) Das liegt in meiner Natur. Ich muss immer irgendwo rumwuseln und was machen. In einem Verein mit aktuell 567 Mitgliedern, der fast ausschließlich vom Ehrenamt lebt, wird es nie eine Zeit geben ohne Baustellen. Kittet man die eine Lücke, reißt woanders wieder was auf. Aber das ist ein selbstgewähltes Schicksal, ich will nicht meckern. Am Ende sind wir alle ein bisschen verrückt, beim FC Blau-Weiß vielleicht noch ein bisschen mehr als woanders. Rational kann man das eh nicht erklären. Du bist seit einigen Monaten auch noch zertifizierter Ehrenamtskoordinator? Ohne Ehrenamt geht nichts, oder? Die meisten Vereine existieren nur durch Ehrenamt. Sie sind eigentlich ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Man muss die Frage stellen, inwieweit der Verein überhaupt noch als zeitgemäß gilt in einer konsumorientierten Welt, in welcher die kurzfristige Bedürfnisbefriedigung wichtiger ist, als das langfristige und zeitintensive Engagement ohne unmittelbare Gegenleistung. Nicht nur beim FC Blau-Weiß muss man sehr idealistisch an die Sache herangehen und sich irgendwie ein Biotop erschaffen mit einem altruistischen Wertesystem, das aus dem Rahmen gefallen erscheint. Irgendwie eine bessere Gesellschaft im Kleinen, in welcher der Mensch im Mittelpunkt steht, aber auch eine gewisse Form des Egalitarismus, also das Ganze als Basis, der Verein als Gemeinschaft, nicht die eigenen materiellen Interessen. Wer gibt, dem wird gegeben. Nur so kann ein ehrenamtlicher Verein funktionieren. Ein Verein kann außerdem nie ein billiger Dienstleister sein. Denn dies würde das Ehrenamt pervertieren und das System langfristig kollabieren lassen. Mit der Fusion 2017 entwickelte sich der Verein rasant… Ja. Die Entscheidung, zu fusionieren, war alternativlos und hat allen Fusionspartnern eine Zukunft gegeben, auch wenn formaljuristisch TuB und United liquidiert worden sind. Es stand immer im Vordergrund, ein nachhaltiges Fußballangebot v. a. für Kinder und Jugendliche zu schaffen, jenseits der leider weit verbreiteten Engstirnigkeit im Leipziger Fußball. Die UFCer, zu denen ich gehörte, und TuBser haben da einen großen Preis bezahlt. Aber es war trotzdem keine Übernahme durch den VfK, auch wenn wenige versucht haben, entgegen aller Absprachen, auf eigene Rechnung zu spielen. Es war knapp, aber wir haben diese Situation gemeistert. Heute stehen wir sehr gut da. Wir sind fast 200 Mitglieder mehr als vor der Fusion. Und wir haben Perspektiven, werden allgemein für unsere sportliche und soziale Arbeit in Leipzig geschätzt. Wir sind zudem wirtschaftlich gesund. Das alte TuB-Stadion ist ein großes infrastrukturelles Pfund und die DNA von United erkennt man heute deutlich im Verein. Der FC Blau-Weiß ist die Summe aller drei Vereine. Es war der richtige Weg, wie sich fast drei Jahre später zeigt. Unsere Wurzeln werden wir aber nie verleugnen und wir sind stolz darauf! Wie ist die Stimmung im Vorstand? Wir haben ein sehr gutes und konsensorientiertes Team. Der Vorstand hat jetzt eine Struktur aus fachlich hervorragenden Mitgliedern. Mit Tom (Vorstand Sport), Gunter (Vorstand Infrastruktur) und Lou (Vorstand Mädchen- und Frauenfußball) wurde die Expertise bei den letzten Wahlen gestärkt. Der alte TuBser Markus als 1. Vorsitzender ist in den letzten Jahren mit seinen Aufgaben gewachsen, macht eine sehr gute Figur in seinem Amt und strahlt eine gewisse Ruhe aus, die ich in der Regel nicht habe (lacht). Wichtig ist auch, dass die Vorstandsmitglieder ein sehr loyales und offenes Verhältnis zueinander haben. Es herrscht eine sehr gute Arbeitsatmosphäre, die man aber auch braucht, um so einen großen Verein erfolgreich zu lenken. Ohne unseren Geschäftsführer Dirk Uhlemann wäre aber alles nichts. Was er leistet, kann man gar nicht genug würdigen. Wie läuft es in Deinem Ressort? Es könnte besser laufen. Aber mir fehlt leider die Zeit, da ich auf vielen anderen Baustellen im Verein aktiv bin – zumeist wo es ums Geld geht. Mit dem Ausscheiden von Peter aus dem Vorstand, der als letzter United-Vorsitzender den Leipziger Straßenfußball wie kaum ein anderer geprägt hat, fühle ich mich weiterhin amputiert. Unsere Angebote in der 100. Grundschule laufen gut, da verliere ich jetzt aber arbeitsbedingt den Trainer, die Zukunft ist daher offen. Hinzu kommen zwei KITA-AGs, die mit sehr viel Leidenschaft geführt werden und mittlerweile die Basis unserer Bambini stellen. Der Vorstand hat die Einrichtung einer FSJ-Stelle für das neue Jahr beschlossen. Hier hoffen wir ab Herbst 2020 auf Entlastung und damit auf personelle Stabilisierung unserer offenen Angebote. Im Bereich Ehrenamt habe ich eine breite Brust. Da gab es in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung in den Bereichen Schiedsrichter- und Trainerausbildung. Das ist vor allem ein Verdienst von Paul, der als Koordinator Aus- und Weiterbildung eine herausragende Arbeit leistet. Ich bin sehr stolz auf unsere Juniorenspieler, die Verantwortung für den Verein übernehmen. Vor allem im Bereich Schiedsrichter bilden sich zurzeit große Talente heraus, sicher auch ein Verdienst von unserem Obmann Karsten, der mit viel Kompetenz und Leidenschaft vor allem den jungen Ehrenamtlichen zur Seite steht. Das ist das, was unseren Verein ausmacht: Nicht meckern, sondern ranklotzen. Nicht fragen, was die anderen machen können, sondern es selbst machen. Und das fängt schon bei den Jugendlichen im Verein an. Du betreust als Teammanager die U19-Junioren des Vereins. Gratulation zum zweiten Platz in der Hinrunde! Ja danke. Für mich ist das Team das größte Wunder des Leipziger Juniorenfußballs, auch wenn es keiner mitbekommt. Die U19 ist der emotionale Motor, warum ich das hier alles mache. Unser geiles Trainerteam formt die Jungs – darunter 18 Flüchtlinge – aber das Team prägt uns Trainer auch erheblich als Menschen. Wir werden das Team nie vergessen und genießen das letzte gemeinsame halbe Jahr. Egal was am Ende für ein Platz herauskommt. Es wird großartig! Der FC Blau-Weiß ist als integrativer Stützpunktverein mehrfach ausgezeichnet worden. Welche Bedeutung hat das für Dich? Integration ist zu einem politischen Kampfbegriff verkommen. Wenn man integrative Arbeit leistet, muss man sich mittlerweile rechtfertigen. Die gesellschaftliche Verrohung schreitet voran. Die Entwicklung geht auch an uns nicht spurlos vorüber. Im Verein funktioniert das Konzept von Integration durch Sport hingegen sehr erfolgreich. Es ist bei uns mittlerweile normal und keiner denk darüber nach. Als Integrationsbeauftragter bekomme ich natürlich auch mit, mit wieviel Leidenschaft unsere Trainer Probleme und Sprachbarrieren lösen. Eine offene Gesellschaft benötigt keine Integration, da passiert das automatisch. Beim FC Blau-Weiß ist es schon so und ich habe bereits vor Jahren gesagt: Wenn wir nicht mehr darüber reden müssen, ist das Ziel erreicht. Dann muss ich auch nicht mehr Integrationsbeauftragter sein. Für unser soziales Engagement wurden wir in der Vergangenheit oft ausgezeichnet, das ist richtig. Ich bin da aber emotionslos. Zumeist waren es Preise, auf die wir uns selbst beworben hatten. Prämie und etwas PR sind dabei sicher wichtig. Aber am Ende interessiert es kaum jemanden. Oder weiß noch jemand, wer Leipziger Sportverein des Jahres 2017 war? Die Wahrheit liegt auf dem Platz und nicht auf der Bühne. Wenn wir diese Publicity benötigen, dann zur Stärkung der Wahrnehmung bei potenziellen Sponsoren und damit wir von Verwaltung und Politik ernst genommen werden. Der FC Blau-Weiß bezieht seit Jahren eine klare Position zum Thema Integration. Ist der Verein damit politisch? Die Frage sollte vielmehr lauten, kann ein Verein überhaupt unpolitisch sein? Oder was ist überhaupt politisch? Bei uns im Verein waren Vertreter aller großen Parteien. Höhepunkt war sicher der Besuch von Ministerpräsident Kretschmer im letzten Jahr. Die Werte, die wir teilen, sind universeller Natur, sollten identitätsstiftender Konsens in einer freiheitlich und liberal organisierten Gesellschaft sein. Und mit dieser Vorstellung sind wir klassisch ein strukturkonservativer, bürgerlich-solidarischer Verein, indem Offenheit, Nächstenliebe, aber auch Prinzipientreue hohe Güter sind. Also ja, wir sind also vielleicht politisch, ein bisschen (lacht). Jetzt gibt es auch noch Mädchen- und Frauenfußball bei Blau-Weiß… Das ist sehr toll und der gesamte Vorstand unterstützt diese Entwicklung. Das Jahr 2020 wird das „Jahr des Mädchen- und Frauenfußballs“. Nach der Pionierleistung in 2019 sollen die Fundamente für eine nachhaltige Entwicklung geschaffen werden. Nach den Herren der Schöpfung wollen wir langfristig auch bei den Frauen Landesligafußball sehen. Die Schalung wurde bereits angelegt, im nächsten Jahr flechten wir die Bewehrung und organisieren den Beton. Unsere vielen talentierten Mädchen sollen, wie die Jungs, im Verein eine Zukunft haben. Der FC Blau-Weiß ist – gemessen an der ersten Mannschaft – nach RB, Lok, Chemie und Inter die Nummer fünf im Leipziger Fußball. Hat das für Dich eine Bedeutung? Nein. Schwanzvergleiche im Leipziger Fußball hatten wir lange genug und diese führten, bis zum Landen von RedBull in Leipzig, zum bekannten Resultat. RB ist das Nonplusultra, die Traditionsteams finden langsam ihre Rolle und machen mittlerweile eine sehr gute Arbeit. Zu Inter habe ich nach wie vor keinen Bezug und sehe da auch keine nachhaltige Entwicklung. Danach kommt eine große, graue Suppe, wo wir halt gerade oben schwimmen (lacht). Blau-Weiß ist ein Breitensportverein. Wir spielen nur in der Landesliga, da es der Wunsch dieser tollen Truppe nach der Meisterschaft in der Landesklasse Nord war. Kein Spieler hat nur einen Cent verlangt, dass ist eine komplette Freizeitmannschaft, wo jeder seinen Mitgliedsbeitrag zahlen muss. Charaktere sind wichtiger als große, an Geld gekoppelte Versprechungen. Und das ist, worauf ich stolz bin und nicht auf irgendeine Liga, wo die Gegner zum Teil schon vierstellige Monatsgehälter erhalten. Und selbst, wenn wir Geld hätten, würden wir dieses Rattenrennen nicht mitmachen, aus Prinzip und aus Überzeugung. Wir investieren in Nachhaltigkeit und nicht in Schnellschüsse! Wenn die Jungs im nächsten Jahr keinen Bock mehr auf Landesliga haben, da der Aufwand für die meisten schon sehr hoch ist, dann respektieren wir dies genauso, wie den diesjährigen Wunsch, hochzugehen. Über mehr Zuschauer würden wir uns natürlich freuen. Das Team hat es jedenfalls mehr als verdient! Was macht die Idee einer eigenen Futsal-Abteilung? Es ist ein Trauerspiel. Ohne Halle kein Futsal. Ab der U14 bekommt man keine öffentliche Halle. Auf eigene Kosten bereitet sich unsere U19 – als einziges Jugendteam des FC Blau-Weiß – gerade in einer privaten Halle auf die FVSL-Futsalmeisterschaft vor. Da haben wir aber nicht mal Tore und müssen auf dem zu kleinen Feld improvisieren. Jedenfalls tragen wir unseren WKR-Hallencup 2020 nach Futsalregeln aus, was in Sachsen schon was Besonderes ist. Mehr ist aktuell leider nicht möglich und es wird sich in den nächsten Jahren daran auch nichts ändern. Die halbherzige Unterstützung durch die Verbände reicht da nicht aus, um politische Mehrheiten zu schaffen. Wir konzipieren jedenfalls gerade den Bau einer Futsalhalle für 300 Zuschauer in der Diezmannstraße. Noch werden wir belächelt, aber jemand muss ja anfangen. Da wären wir gleich bei der Infrastruktur. Wie geht es dort weiter? Ganz große Baustelle. Zunächst sind wir froh, mit Gunter einen hervorragenden Experten mit einem großen Netzwerk im Vorstand zu haben. Über seinen Schreibtisch läuft aktuell die Sanierung und Erweiterung des Kunstrasens im Kantatenweg. Hier wurden die Fördermittel bewilligt, im April sollen die Arbeiten losgehen. In der Diezmannstraße steht die Teilsanierung von Feld 3 sowie der Bau eines Ballfangzaunes an, so die Fördermittel frei werden. Hier müssen aber noch Grundstücksfragen geklärt werden. Zudem wird der Bestand weiter bearbeitet und Zusehens verbessert. Ein Großes Lob an unsere Platzwarte, die über ihre eigentliche Arbeitszeit hinaus und mit viel Liebe an vorderster Front kämpfen! Langfristig planen wir eine Infrastruktur für 1.000 aktive Mitglieder. Eine Konzeptskizze liegt der Stadt Leipzig bereits vor. Wir stehen aktuell vor dem Dilemma, wachsen zu müssen, ohne nutzbare Kapazitäten zu haben. Improvisation wird also die Marschrute in den nächsten Jahren bleiben und hierfür benötigen wir viel Verständnis bei unseren Mitgliedern. Problem ist natürlich auch die Beibringung der geforderten Eigenmittel für Infrastrukturprojekte, aktuell 20 Prozent. Hier unterstützen wir die politischen Vorstöße, die Eigenmittel ab 2021 auf 10 Prozent zu verringern, was immer noch genug ist. Und das ist sicher alles sehr bürokratisch… Ich fasse mich kurz. Die Bürokratie wird nicht der Grund für den Untergang des Vereinswesens sein, aber der Sargnagel. Manchmal wünsche ich mir, Politik und Verwaltung würden die Perspektiven wechseln. 40-50 Stunden arbeiten, danach noch ein Team trainieren und in einem Vereinsvorstand aktiv sein. Familie und Freunde lassen wir mal außen vor. Es ist einfach deprimierend, welcher Papiergram erledigt werden muss. Und am Ende steht man mit einem Bein im Knast, wenn man was falsch ausfüllt oder dem Verein entsteht ein Schaden, für den man sich dann vor den Mitgliedern verantworten muss. Es hat einen Grund, warum fast jeder Verein Probleme hat, engagierte Vorstände zu finden. Aus Spaß machen das sicher die wenigsten, eher aus Verantwortungsbewusstsein. Was wünschst Du Dir für das neue Jahr? Vieles. Sicher zu viel. Daher mache ich es kurz: Ich wünsche mir ein stärkeres Bewusstsein aller Mitglieder im Verein, dass wir gemeinsam in einem Boot sitzen und jeder etwas dazu beiträgt, dass der FC Blau-Weiß die positive Entwicklung der Vergangenheit fortschreibt. Der Verein ist wie ein Kuchen. Wer sich einfach ein großes Stück gönnt, nimmt es den anderen. Wer aber selbst was zur Party mitbringt, verbreitet nicht nur Freude, sondern trägt dazu bei, dass der Verein weiterwachsen kann. Und ja, ich gebe es zu, ich will mit meinen U19-Junioren Stadtmeister werden und danach reißen wir Kleinzschocher ab (lacht)! Vielen Dank, Philipp, für das ausführliche Interview und einen guten Rutsch ins neue Jahr!